Die Einladung hatte sich an Akteurinnen und Akteure gerichtet, die die ersten Lebensphasen von Kindern sowie Übergänge zwischen den Lebensphasen fachlich begleiten und versuchen sie kinder- und familienorientiert zu gestalten.
Die Teilnehmenden konnten sowohl vor Ort, als auch per Zoom online an der Tagung teilnehmen.
Schwerpunkt der Fachtagung und der sechs Referate der fünf Fachreferentinnen war der Blick auf die frühkindliche Gesundheit und Bindung, auch aus interkultureller Sicht und zeigte auf, welche Auswirkungen eine mögliche Achtsamkeit rund um Schwangerschaft und Geburt auf das gesunde Aufwachsen von Kindern haben und damit ihren weiteren Lebensweg prägen können.
Christoph Maushake vom Fachdienst Kinder, Jugend und Familie der Stadt Salzgitter begrüßte die rund 80 Teilnehmenden in der Kulturscheune und an den Bildschirmen. Er erinnere sich noch sehr gut an die Geburt und die Kleinkinderzeit seines Sohnes. Auch seine Frau und er seien sehr unsicher gewesen, ob sie alles richtig gemacht hätten. Sie seien damals froh gewesen Wegbegleitende gefunden zu haben, die sie in dieser Zeit unterstützt hätten. „Sie sind diejenigen, die diesen Weg begleiten“, so Maushake an die Teilnehmenden. „Wir alle wünschen uns liebevolle und verantwortungsvolle Eltern“, dieser Fachtag solle den teilnehmenden Fachleuten helfen, Eltern noch besser bei der Erziehung helfen zu können.
Der städtische Sozial-Dezernent Dr. Dirk Härdrich bedankte sich bei den Mitgliedern des Netzwerkes Frühe Hilfen Salzgitter für die Organisation dieses Fachtages. „Eine solche Tagung ist wichtig, weil wir uns immer wieder für unsere Arbeit updaten müssen“, erklärte er. Informationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die praktisch Arbeitenden seien in diesem Bereich wichtig, um die Arbeit für Kinder und Jugendliche voranzubringen.
„Wir wollen dort helfen, wo Hilfe gebraucht wird“, fasste der Dezernent die Arbeit seines Fachdienstes Kinder, Jugend und Familie und des Netzwerkes Frühe Hilfen Salzgitter zusammen, von dem der Fachdienst eine von vielen Mitgliedsorganisationen ist. Diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, müssten heute ganz unterschiedliche Lebensformen von Familien berücksichtigen, in denen Kinder aufwachsen.
„Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit ganz vielen Ideen aus dieser Fachtagung an ihre Arbeitsplätze zurückkehren“, mit diesen Worten eröffnete Dr. Härdrich die Fachtagung.
Schwangeren Frauen bei der Geburt mehr Verantwortung übergeben
Die Dipl. Psychologin und ehemalige Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bremen, Ulrike Hauffe stellte in ihrem Impulsreferat das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ vor. Das Bundesgesundheitsministerium hatte 2017 dieses Gesundheitsziel veröffentlicht. Es war von 2013 bis 2016 von 30 Personen aus Wissenschaft, Fachverbänden, Selbsthilfeorganisationen, Politik und Selbstverwaltung erarbeitet worden.
Das Besondere: Leitgedanke sei hier ein positives Verständnis von Potenzial und Ermächtigung, die sogenannte „Salutogenese“. Anders als sonst im Gesundheitssystems praktiziert, werde die Schwangerschaft hier nicht als Risiko und oder krankheitsähnlicher Zustand betrachtet.
Schwangerschaft und Geburt seien nur begrenzt kontrollierbare Geschehnisse, nicht wie eine Operation nach einer Diagnose und einem Therapieplan, erklärte Hauffe. Und es könne nicht der Sinn sein, dass Frauen die Verantwortung für das Geschehen an das gerne übernehmende Medizinsystem abgeben würden. Es bedarf, so die Psychologin, der Wiederaneignung weiblichen Ur-Könnens – schwanger sein und gebären. Sie betonte ausdrücklich: „Übrigens: Gebären, nicht entbinden. Gebären machen Frauen selbst, die Entbindung machen andere. Uns droht, das Wort ,gebären‘ abhanden zu kommen.“ Sie plädiere sehr dafür, dieses Wort wieder mehr zu benutzen, sprachlich im Sinne von Ermächtigung statt Entmachtung.
Gesunde mentale Entwicklung ab dem Kleinkind-Alter
Das zweite Impulsreferat hielt Prof. Dr. phil Éva Hédervári-Heller, Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Unter dem Titel „Bindung als Grundlage kindlicher mentaler Gesundheit“ beschrieb sie die Gefühlswelt von Kleinkindern und die psychischen Konflikte sowie deren Behandlungsmöglichkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter.
Kleinkinder seien noch nicht in der Lage, sprachlich auszudrücken, wie es ihnen geht. Störungen des Wohlbefindens äußerten sich in Form von exzessivem Schreien, Fütter- und Gedeihstörungen oder Schlafproblemen. Hédervári-Heller setzte in ihrem Vortrag den Schwerpunkt auf die Gefühlswelt von Kleinkindern und der Vermittlung eines besseren Verständnisses für psychische Konflikte und deren Behandlungsmöglichkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter.
Mythos von der glücklichen Schwangerschaft und Geburt
Die überladenen Erwartungen, die auf die Schwangerschaft und das Elternsein projiziert würden, führten oft zur Überforderung der frisch gebackenen Eltern, berichteten Elli Kowert und Silvia van Geel in ihrem Referat. Beide sind Regionalkoordinatorinnen der Stadt und des Landkreises Osnabrück der Bundeselterninitiative „Mother Hood“.
Familien würden sich in dieser Lebensphase mit den Bildern von der glücklichen Schwangerschaft und Geburt, durch teils widersprüchliche Erwartungen konfrontiert sehen. Dadurch fühlten sie sich oft verunsichert und würden Angst empfinden. Die Fachfrauen gingen in ihrem Vortrag der Frage nach: „Wie können Eltern in dieser Situation wirklich unterstützt werden und was bedeuten die Begriffe des Vertrauens und der Selbstbestimmung in diesem Kontext wirklich?“
Achtsame Geburt
In ihrem Vortrag „Achtsame Geburt? Bedeutung der Schwangerschaft und Geburt für die neurophysiologische Entwicklung von Kindern“, ging Marian-Louise Giffhorn darauf ein, dass die Geburt einen Einfluss auf die spätere Entwicklung eines Kindes habe. Die Diplom Sozialpädagogin und Psychotherapeutin betonte, dass trotz Förderung und viel Unterstützung, es Kinder gebe, die den Pädagoginnen und Pädagogen immer mehr Sorgen bereiten würden. Sie fielen zum Beispiel durch grob- und feinmotorische Schwierigkeiten, Lernstörungen, Sprachstörungen und Konzentrationsprobleme auf. Das Lernen gehe manchmal extrem langsam, Gelerntes werde schnell wieder vergessen.
Der aktuelle Forschungsstand belege, dass kindliche Entwicklungsstörungen mehrheitlich auf Probleme zurückzuführen seien, die bereits während der Schwangerschaft oder bei der Geburt entstanden sind. Blieben diese Reaktionsmuster erhalten, wirkten sie wie ein Störfeuer und beeinträchtigen nicht nur Haltung, Bewegung und Gleichgewicht des Kindes, sondern hätten unter anderem später Einflüsse auf Konzentration, Lernen und Verhalten.
Schwangerschaft und Geburt im interkulturellen Vergleich
Einen ganz anderen Blick auf Schwangerschaft und Geburt warf die Islamwissenschaftlerin Julia Nohn. Sie ging in ihrem Vortrag auf die Frage ein: „Wie verhält es sich mit den Themen Schwangerschaft und Geburt in anderen Teilen der Welt?“ Wünsche sich eine junge Mutter nach der Geburt vor allem erst einmal Ruhe oder brauche sie Zuwendung und ganz viele Menschen in ihrer Nähe? Nohn hat mehrere Jahre in islamischen Ländern studiert, geforscht und gearbeitet. Ihre tiefen Einblicke in die Frauenwelten und Geschlechterdynamiken in islamisch geprägten Gesellschaften ließ sie in ihr Referat einfließen.
Bindung und Eingewöhnung in der Kindertagesbetreuung
Ein weiteres Referat hielt Prof. Dr. phil Éva Hédervári-Heller bei diesem Fachtag über die „Bindung und Eingewöhnung in der Kindertagesbetreuung“. Der Übergang aus der Familie in die Kindertagesbetreuung, bedeute für Kinder eine besondere Herausforderung. Die neue Umgebung, fremde Erwachsene und Kinder sowie ein veränderter Tagesablauf erzeugten für junge Kinder meist Stress. Hinzu komme die stundenweise Trennung von der Mutter oder vom Vater. Diese emotionalen Belastungen könnten, so Dr. Hédervári-Heller, auf ein Minimum reduziert werden, wenn das Kind zu einem/r Bezugspädagogen/in in der Kindertageseinrichtung Vertrauen entwickele und sich zunehmend in Abwesenheit der Eltern wohl fühle. Die Gestaltung der Eingewöhnungssituation mit Berücksichtigung des Grundbedürfnisses des Kindes nach Bindung, sei deshalb von besonderer Bedeutung.
Das seit Jahrzehnten angewandte „Berliner Eingewöhnungsmodell“ liefere hier konkrete Leitlinien für die Praxis, wie der Übergang aus der Familie in die erste Betreuungseinrichtung wie Krippe, Kindertagespflege oder KiTa für alle Beteiligten ohne oder mit nur sehr geringem Stress gelingen könne.